Dr. Andrea Hopp
Projektbericht – WAG „Jüdische Geschichte für Flüchtlinge“ (Stand: 26. April 2017)
Einen Beitrag zur Integration durch Bildung zu leisten – das war die Zielsetzung des Pilotprojekts „Jüdische Geschichte für Flüchtlinge“. Angesiedelt war das Projekt in Schönhausen an der Elbe. Durchgeführt wurde es auf Deutsch, Englisch und in den Sprachen, in die sich die Teilnehmenden untereinander übersetzten, von den beiden Mitarbeiterinnen der Otto-von-Bismarck-Stiftung Schönhausen, Dr. Andrea Hopp (Leiterin) und Katja Gosdek (Museumspädagogin), sowie im März/April 2016 von zwei Praktikantinnen des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Am Projekt teilgenommen haben Menschen aus Afghanistan, Syrien und anderen Ländern, die in der nahe Schönhausen gelegenen Erstaufnahmeeinrichtung Klietz untergebracht waren.
Aus dem Geschichtsunterricht ihrer Herkunftsländer bringen Flüchtlinge teilweise ein Bild von deutscher und europäischer Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit nach Deutschland, das nicht nur zu Missverständnissen führt, sondern mit dem heutigen demokratischen Geschichtsverständnis der Bundesrepublik unvereinbar ist. Ganz besonders betrifft das Aspekte jüdischer Geschichte und der Geschichte des Staates Israel sowie das Thema Antisemitismus. Weil aber ein geteiltes Wissen um die Vergangenheit eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche gesellschaftliche Teilhabe und für die Gestaltung einer freiheitlich-demokratischen Gegenwart und Zukunft ist, war die Ausgangsüberlegung, Flüchtlinge in einem frühen Stadium nach ihrer Ankunft über grundsätzliche gesellschaftliche Werte zu informieren sowie über ggf. vorhandene Vorurteile ins Gespräch zu kommen und sie abzubauen. An die eigenen Erfahrungen der Geflüchteten anknüpfend, bildete deshalb jüdische Geschichte als Migrationsgeschichte sowie als Geschichte der Konfrontation mit Vorurteilen und Verfolgung aufgrund ethnischer Herkunft oder Religion einen Schwerpunkt.
Die seitens der WAG zur Verfügung gestellten Mittel sind vollständig in drei nacheinander durchgeführte Formate eingeflossen, die durch eine Teamberatungsveranstaltung mit Dr. Martin Liepach über didaktische Konzepte und Zugänge im April 2016 ergänzt wurden:
- 2016 in eine allgemeine Einführung in Geschichte, Bedeutung und Inhalt des Grundgesetzes mit seinen Rechtsansprüchen und Pflichten. Diese Veranstaltung war in den Deutschunterricht der Erstaufnahmeeinrichtung integriert und bot Gelegenheit zur Kontaktaufnahme und Projektvorstellung;
- ebenfalls 2016 in Ausstellungsbesichtigungen in Schönhausen: Eingebunden in Begegnungs- und Beratungsangebote boten kombinierte Ausstellungsbesichtigungen – der Schönhauser Museumsdauerausstellung über Otto von Bismarck[1] und seine Zeit sowie einer in Schönhausen von März bis November 2016 präsentierten Wanderausstellung des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin unter dem Titel „Angezettelt. Antisemitische Aufkleber und Gegenwehr“ – Gelegenheit zum Dialog. Im ersten Teil der Führung wurden Aspekte der deutschen und europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts allgemein behandelt: Krieg und Frieden, Obrigkeitsstaat und Demokratie, innere und äußere Einheit, Zugehörigkeit und Zurückweisung. Wie sie das Leben der jüdischen Minderheit in Deutschland berührten, davon erzählte im zweiten Teil die Sonderausstellung. Sie dokumentiert zum einen antijüdisches Alltagshandeln seit dem 19. Jahrhundert bzw. richtet zum andern das Augenmerk auf neue Feindbilder wie klischeehafte Vorstellungen vom Islam und von Flüchtlingen und darauf, wie dem etwas entgegengesetzt werden kann;
- in einen vertiefenden Workshop zur Flüchtlingskonferenz von Évian des Jahres 1938 (Beginn: Dezember 2016), der mit einer kleinen Gruppe von Syrern durchgeführt wurde (zwischen 7 und 15 Teilnehmern). Um die Vermittlung des historischen Themas in eine aktive gestalterische Teilhabe einzubinden, war die Ausgangsidee, in diesem Workshop für den 80. Jahrestag der Konferenz von Évian im Jahr 2018 einen kleinen, aus der Perspektive der Flüchtlinge gestalteten Animationsfilm in Stop-Motion-Technik zu produzieren. Hieraus ist eine Kooperation mit dem Jüdischen Museum Berlin entstanden, verbunden mit Unterstützungsangeboten für die Filmrealisierung und dessen Präsentation im nächsten Jahr. Am 9. März 2017 war die Gruppe daher zu einer spezifisch angepassten Museumsbesichtigung der Berliner Dauerausstellung eingeladen. Teils auf Arabisch, teils durch Vergleiche mit dem Islam und durch sich wiederholendes Ein- und Rückanbinden der dargestellten historischen Themen an die Évian-Konferenz sowie an das Flüchtlingsschicksal jener Zeit gelang die Ansprache aller Teilnehmer trotz der Sprachschwierigkeiten in beeindruckender Weise. In einem an diese Führung anschließenden Gespräch mit der Leiterin der Bildungsabteilung des Jüdischen Museums, Dr. Diana Dressel, bekundete die Gruppe ihr sichtliches Interesse am Évian-Thema mit dem Wunsch, aufgrund ihrer eigenen jetzigen Flüchtlingssituation nicht vorhandenes Wissen über die jüdischen Erfahrungen im historischen Kontext erwerben zu wollen.[2] Dass der Museumsbesuch Eindruck hinterlassen hat, dazu trug auch das abendliche Filmprogramm dort bei. Im arabischsprachigen Original wurde der syrische Film „Damaskus with Love“ gezeigt (ein „Roadmovie“, dessen Gegenstand – im weitesten Sinne – ein gelebter jüdisch-christlich-islamischer Dialog ist). Die Gruppe hat die Bilder aus ihrer Heimat und die in ihrer Muttersprache gesprochene Handlung begeistert aufgenommen.
Auf den erfolgreichen Berlinausflug folgte ein äußerst schlecht besuchtes Nachbesprechungstreffen. Mehrere Faktoren können dafür verantwortlich sein: ein ungünstiger Termin mitten in der Woche, nachlassendes Interesse angesichts alternativer Angebote[3] oder aber ein mit dem Museumsbesuch zusammenhängender Reflexionsprozess, der (noch) nicht kommuniziert wird.
Nachteilig könnte sich auswirken, dass es aus innerbetrieblichen (personellen) Gründen gerade jetzt einen Projektunterbruch geben muss. Ob der Workshop fortgesetzt werden kann und der Film zustande kommt, wird sich daher erst in einigen Wochen erweisen und davon abhängen, ob seitens der Gruppe die Bereitschaft dazu besteht sowie von den dann bestehenden personellen bzw. finanziellen Möglichkeiten.
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[1] Der Einstieg über die Person Bismarcks erwies sich als sinnvoll, weil er den meisten Flüchtlingen, ganz gleich, aus welchen Ländern sie kamen, ein Begriff war – allerdings gänzlich anders konnotiert als in der gegenwärtigen deutschen und europäischen Geschichtsschreibung. Gerade dies bot jedoch einen guten Ausgangspunkt, um über historische Narrative ins Gespräch zu kommen.
[2] Deutlich wurde, dass es über die nationalsozialistische Judenverfolgung und den Holocaust – abgesehen von den Informationen aus unserem Workshop – so gut wie keine Vorkenntnisse gab. Auschwitz etwa war für die Gruppe kein Begriff, ersichtlich bereits daran, welche Schwierigkeiten das Verstehen und die Aussprache des Wortes beim Übersetzen machten.
[3] Die Teilnahme am Pilotprojekt ist freiwillig und sie ist nicht unabdingbar für die Regelung persönlicher Belange. Daraus resultiert ein nicht unerheblicher Statusunterschied zwischen dem Pilotprojekt und den übrigen regionalen Integrationsangeboten wie etwa Deutschkursen oder Beratungen zum Asylverfahren. Diese wahrgenommene „Nachrangigkeit“ macht sich nicht nur seitens der Projektteilnehmer deutlich bemerkbar, sondern auch hinsichtlich der Einschätzung des Projekts seitens anderer, rund um die Flüchtlingsbetreuung vorhandener Einrichtungen. Letzteres spielt durchaus eine Rolle bezüglich der Bereitschaft der Geflüchteten, sich mittelfristig zu engagieren.
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