Die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck Instituts trauert um den langjährigen Direktor des Londoner LBI, Herausgeber des LBI-Jahrbuchs und stellvertretenden internationalen Vorsitzenden Arnold Paucker, der am 13. Oktober 2016 in London verstarb.
Paucker wurde 1921 in Berlin geboren und wuchs in einem assimilierten bürgerlich-jüdischen Elternhaus auf, wandte sich aber aufgrund des erstarkenden Nationalsozialismus dem linken Deutsch-Republikanischen Pfadfinderbund zu. 1936 ging er mit den linkszionistischen Werkleuten nach Palästina, wo er die renommierte Modellschule Ben Shemen besuchte. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 meldete er sich mit vielen seiner Schulkameraden und Genossen freiwillig zum Dienst in der Britischen Armee und war so am Sieg von Montgomerys 8. Armee gegen die Wehrmacht in El Alamein 1943 beteiligt. Im selben Jahr wurde seine Einheit nach Italien versetzt; dort nahm Paucker am alliierten Italienfeldzug teil und feierte enthusiastisch die Befreiung Bolognas durch Einheiten sozialistischer und kommunistischer Partisanen. Italien blieb eines seiner Herzensländer und er erlebte die Befreiung dort auch dezidiert als deutscher Jude, als Teil der emanzipatorischen Kräfte des Fortschritts, die den Faschismus besiegt hatten.
In Florenz lernte er seine zukünftige englische Ehefrau Pauline Pond kennen, die in Italien Kunst studierte. Mit ihr siedelte er kurzzeitig in die USA über, wo sie auch heirateten. Doch dem jungen, non-konformen Paar behagte das Klima der McCarthy-Ära wenig. Dem konnte auch die Tatsache, dass sich sowohl Pauckers Bruder Kurt (der nach Frankreich und in die Schweiz fliehen konnte) als auch seine Eltern (die nach Shanghai flüchteten) mittlerweile in Philadelphia niedergelassen haben nicht abhelfen. Das Paar entschied sich daher, nach England zu ziehen, wo Pauline als Lehrerin arbeitete und Arnold als Mitarbeiter einer Import-Export-Firma, während er gleichzeitig am Abendgymnasium sein Abitur nachholte. Gleich nach Erhalt des Schulabschlusses immatrikulierte er sich für ein Studium der Germanistik an den Universitäten Birmingham und Nottingham, das er mit einer Promotion über Übersetzungen deutscher Volksbücher ins Westjiddische abschloss.
Nach seinem Abschluss 1959 wurde Paucker der Posten des Direktors des 1955 gegründeten Leo-Baeck-Instituts in London angeboten, das er unter der Ägide des Herausgebers des LBI-Jahrbuchs Robert Weltsch leitete. Als Weltsch 1970 in den Ruhestand ging, übernahm Paucker auch die Herausgabe des Jahrbuchs.
Das LBI, ursprünglich eine von den persönlichen Reflektionen und Erfahrungen nach Großbritannien geflüchteter bürgerlicher deutscher Juden geprägte Einrichtung, entwickelte sich unter Pauckers Leitung zu einem der international renommiertesten Forschungsinstitute zur deutsch-jüdischen Geschichte. Mit seinen bahnbrechenden Forschungen zum jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus trug er auch selbst zu den unter den Auspizien des LBI stattfindenden Forschungen bei. Für diese Studien wurde ihm 1975 von der Universität Heidelberg ein weiterer Doktortitel verliehen und 1996 zog die Universität Potsdam mit einem Ehrendoktor nach.
Durch seinen unkonventionellen Esprit und die ihm eigene Neugier gelang es Paucker, um das Leo-Baeck-Institut und seinem Jahrbuch eine Vielzahl interdisziplinär ausgerichteter Forscherinnen und Forscher des deutschsprachigen Judentums zu versammeln und neue Forschungsfelder zu prägen. Meilensteine waren etwa die Studien zur Situation der deutschen Juden im Kaiserreich, der Weimarer Republik sowie im nationalsozialistischen Deutschland. Die Beschäftigung mit dem jüdischen Widerstand hingegen blieb stets eines von Pauckers Hauptthemenbereichen, in der Forschung wie privat, da er sich selbst als aktiven Teil des von Juden ausgeübten Widerstands gegen den Nationalsozialismus betrachtete.
Nach dem Ende seiner Direktorenschaft im Jahr 2001 blieb Paucker dem LBI London als ehrenamtlicher Schatzmeister weiterhin verbunden und war von 2002 bis 2010 auch Mitglied des Präsidiums des internationalen Institutsverbunds des LBI. Nach seinem Rückzug aus dem Tagesgeschäft wurde Paucker der Titel des „Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit“ des Londoner LBI und 2011 von der britischen Königin der „Order of the British Empire“ verliehen.
Dass die Wissenschaft zu einem Großteil von persönlichen Vorlieben und Erfahrungen geprägt ist unterstrich Paucker, als er anlässlich des 65. Jahrestages der Kapitulation der Wehrmacht die Befreiung Italiens aus persönlicher Sicht schilderte – zwar unter Berücksichtigung der historischen Forschung aber voller antifaschistischem Elan.
Arnold Paucker wird schmerzlich vermisst und bleibt Kollegen und Freunden unvergessen. Seiner Ehefrau Pauline drückt die WAG ihr herzlichstes Beileid aus.
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